SZA: Weinen und töten und alles dazwischen (2024)

Fünf Jahre nach ihrem Debüt sendet die große R'n'B-Sängerin SZA auf ihrem neuen Album ein "SOS". Das klingt schön und anstrengend. Muss man sich nun Sorgen machen?

Eine Rezension von Johann Voigt

SZA: Weinen und töten und alles dazwischen (1)

Blauund weit liegt der Ozean da, ein friedliches Bild. Wie gefährlich er ist,offenbart sich aber spätestens dann, wenn die Kapitänin das SOS-Signal vonSchiff in Not entsendet. Auf dem Cover ihres zweiten Albums, das schlicht SOSheißt, sitzt Solána Rowe an der Spitze eines ins Nichts ragenden Stegs. IhreBeine baumeln in der Luft. Sie starrt in die Ferne, einige Meter unter ihr dieoffene See. Was würde passieren, wenn sich Rowe mitten auf dem Meer einfach insWasser fallen ließe?

Dieopake Ästhetik des Covers lässt offen, ob Rowe, die sich als Sängerin SZAnennt, da gerade zur Entspannung sitzt, oder ob die Aufnahme einen düsterenMoment einfängt. Die erste Zeile des Titelsongs könnte Aufschluss geben: "Lastnight I cried", singt sie da. Geweint, letzte Nacht. Auch alles, was folgt, lässtauf Wut und tiefe Verletzung aufgrund einer Trennung schließen. Rowes Stimme klingtdabei abgeklärt, während im Hintergrund ganz entspannt der von Chorgesang in Slow Motion getragene Song dahinplätschert. Nach einem ruhigen Feierabendklingt das, aber nicht nach Drama. Es ist ein eigenartiger Kontrast, der denHörer vorerst im Unklaren darüber lässt, ob er sich nach diesem SOS-Ruf nun Sorgenmachen muss.

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Manmuss dazu wissen, dass SZA, 33 Jahre alt und aufgewachsen in Maplewood in NewJersey, gerade deswegen so erfolgreich ist, weil sie es schafft, aufrichtigeLiebe und deren Vergehen präzise in Songtexte zu verpacken. Ihr 2017erschienenes Debütalbum CTRL war nicht umsonst für vier Grammys nominiert,und nicht umsonst schreibt sie mittlerweile Songs für Weltstars wie Rihanna undBeyoncé. Im Laufe eines Jahrzehnts hat sich ihre Musik von R'n'B direkt aus demSchlafzimmer hin zu durchkomponierten Großproduktionen entwickelt. Sogar aufden Soundtrack zum Marvel-Großereignis Black Panther hat sie esgeschafft.

SeitSZAs letztem eigenen Album sind allerdings schon fünf Jahre vergangen. So eine langePause zu nehmen, das trauen sich im Streamingzeitalter die wenigsten Künstler –aus Angst, vergessen zu werden. Aber SZA arbeitet, auch das ist mittlerweileeher untypisch, auf Alben hin, die konzeptuell angelegt sind. Dass sie sich so eine Arbeitsweise nicht nurerlauben kann, sondern auch erlauben muss, liegt daran, dass sie nie denleichtesten Weg geht und auf Buzzwords setzt. Stattdessen sucht sie nachZwischentönen. Und das braucht eben Zeit.

SOS funktioniert nun, umbeim Thema Ozean zu bleiben, wie eine Wellenbewegung. Einige wenige der 23Songs behandeln die emotionalen Peaks nach einer Trennung, dieAusschläge nach ganz oben und unten. Meist geht es aber um all die Gedanken, die einem zwischen diesen extremen Zuständen durch den Kopfgehen. Kill Bill ist ein Song, der ein Hoch abbildet, in diesemFall einen Peak der Wut, der in Gewaltfantasien ausartet. Passenderweise ist derTitel nach Quentin Tarantinos Filmklassiker benannt, in dem Uma Thurmanblutige Rache an ihrem Ex-Ehemann nimmt. "I might kill my ex, not the best idea / Hisnew girlfriend's next, how'd I get here", singt SZA im Chorus mit bedrohlichruhiger Stimme. Entschärfenwird sie die Mordfantasie schließlich, indem sie halb ernst davon erzählt, jaso erwachsen zu sein, dass sie sogar einen Therapeuten aufsuchen würde. Was erstmal gefährlich klingt, ist am Ende auch nur die Extremform des ewigen Grübelnsnach einer Trennung.

Ein paar Hippiegitarren genügen nicht

DiesesGrübeln, davon erzählen die weiteren Songs auf SOS, mündet schließlich inverschiedene Strategien der Kompensation. Mal ist es hemmungsloser Sex mit egalenMännern und die Lust an dunklen Gefühlen, mal reiner Egoismus, der als Coping-Mechanismusdient. Am Ende steht doch wieder die ernüchternde Erkenntnis der Erzählerin,wie sehr ihr Selbstwertgefühl unter dem manipulativen Verhalten des Ex-Partnersgelitten hat. "I wish I was special /I gave all my special / Away to aloser / Now I'm just a loser", singt SZA. So klingt sie also, die Selbstauflösung.

SOS ist ein einstündigesAuf und Ab, und es stellt sich durchausdie Frage, ob es diese Überlänge wirklich braucht. Die Antwort ist einerseits: Ja, unbedingt. Schließlich will man immer mehr von SZAs Selbstentblößungen und vonihrer Stimme, die all das schmerzhafte Gesagte so gut vertont. Auch wahr ist andererseits:So stringent die Erzählung des Albums ist, so sehr schwankt die Qualität dermusikalischen Umsetzungen. Ein wenig scheint es, als hätte sich SZA so sehr aufdie narrative Ebene der Songs konzentriert, dass sie darüber die musikalischeDramaturgie aus den Augen verloren hat. Das macht SOS stellenweise zueinem anstrengenden Album mit vielen schönen oder mindestens soliden,aber auch einigen völlig verkorksten Momenten.

Einpaar seicht gezupfte Gitarren etwa, die weder als gute Pop-Arrangements noch alsLo-fi-Zitate durchgehen, sondern eher klingen wie von bekifften Hippies amLagerfeuer eingespielt, reichen nicht aus, um SZAs Botschaft vollumfänglich zutransportieren. Ebenso wenig funktionieren die an Avril Lavigne angelehntenPop-Punk-Elemente auf F2F, die immer wieder gebrochen werden durchSounds, die an den Weckton eines billigen Mobiltelefons erinnern.

Dieletzten Worte des Albums hat schließlich der 2004 verstorbeneWu-Tang-Clan-Rapper Ol' Dirty Bastard. "It’s all love!", schreit er im Song Forgiveless mit brüchigerStimme ausdem Jenseits. Er klingt wie eine Art guter Geist, derSZA zu Hilfe eilt und sie zurück in die Realität holt. Wieder ist ein gesampelter Chor im Hintergrund zu hören, diesmal klar undgefestigt, dann kurz so hochgepitcht, als würde ein Dämon den Körper eines Besessenen ineinem Horrorfilm verlassen. SZA selbst singt während dieser Austreibung seelenruhig: "Notin the dark anymore." Es ist der erste Moment des Albums, in dem dasSOS-Signal nicht mehr aufflackert. Der erste Moment, in dem wirklich alles okay zu seinscheint.

"SOS" von SZA ist bei Top Dawg Entertainment/RCA erschienen.

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